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Entziehung des elterlichen Sorgerechtes als ein Mittel zur Bekämpfung der Jugendkriminalität

Als pdf: 16/523 | Entziehung des elterlichen Sorgerechtes als ein Mittel zur Bekämpfung der Jugendkriminalität (Schriftliche Kleine Anfrage)


BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG 16. Wahlperiode

Drucksache

16/523
17. 03. 98

Schriftliche Kleine Anfrage
des Abgeordneten Klaus-Peter Hesse (CDU) vom 09. 03. 98 und

Antwort des Senats

Betr.: Entziehung des elterlichen Sorgerechtes als ein Mittel zur Bekämpfung der Jugendkriminalität
Die Bekämpfung der Jugendkriminalität erfolgt, so der Senat in der Drucksache 15/7347, durch eine Vielfalt aufeinander bezogener Maßnahmen. Dabei werden die Ursachen der Jugenddelinquenz als so vielschichtig bezeichnet, daß neben dem vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. erstellten Gutachten „Jugenddelinquenz und jugendstrafrechtliche Praxis in Hamburg“ jetzt zusätzlich eine Enquete-Kommission der Bürgerschaft eingesetzt wurde (vgl. Drucksache 16/223). In der Diskussion um Jugenddelinquenz wird regelmäßig darauf hingewiesen, daß gerade bei von kleinen Kindern begangenen Straftaten häufig den elterlichen Sorgfaltspflichten nicht oder nicht in ausreichendem Maße nachgekommen worden ist. § 1666 I BGB sieht vor, daß bei mißbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge, bei Vernachlässigung des Kindes oder bei unverschuldetem Versagen der Eltern die zur Gefahrabwendung erforderlichen Maßnahmen zu treffen sind. Dies schließt den Entzug des Sorgerechts in bestimmten Fällen ein. Dies vorausgeschickt, frage ich den Senat: 1. Aufgrund welcher gesetzlichen oder behördlichen Vorschriften und durch welches prozessuale Verfahren ist in Hamburg der Entzug des elterlichen Sorgerechtes möglich?
Der Entzug des elterlichen Sorgerechts ist durch Beschluß der Familien- oder Vormundschaftsgerichte möglich. Rechtliche Eingriffsgrundlagen sind die §§ 1666 und 1671 Absatz 5 BGB. Das Jugendamt / Amt für Soziale Dienste beantragt bei Gericht den Entzug des elterlichen Sorgerechts auf der Basis des § 50 Absatz 3 SGB VIII. Inobhutnahmen vor Ergehen eines gerichtlichen Beschlusses erfolgen auf Grundlage der §§ 42 und 43 SGB VIII.

2. Welche Behörden und sonstigen Stellen sind an einem zum Entzug des elterlichen Sorgerechts führenden Verfahren beteiligt?
An dem Verfahren zum Entzug der elterlichen Sorge sind im wesentlichen beteiligt: – das Jugendamt / Amt für Soziale Dienste, – das Vormundschafts- oder Familiengericht, – alle Behörden, Einrichtungen und Personen, die im Rahmen des § 49 FGG Angaben machen können.

3. Wie lange dauert ein Verfahren zum Entzug des elterlichen Sorgerechtes durchschnittlich?
Das Verfahren richtet sich grundsätzlich nach den Besonderheiten des Einzelfalls. Entsprechend läßt sich die Dauer eines Verfahrens nicht mit einem aussagekräftigen Durchschnittswert messen.

Bürgerschaftsdrucksachen – außer Senatsvorlagen – sind – gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier – zu beziehen bei: Druckerei Wartenberg & Söhne GmbH, Theodorstraße 41 w, 22761 Hamburg, Telefon 89 97 90 - 0


Drucksache 16/523

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4. In wie vielen Fällen ist in 1997 in Hamburg ein Verfahren zum Entzug des elterlichen Sorgerechts angestrengt worden (bitte Vergleichszahlen für 1995 und 1996 angeben)?
Zahlen für 1997 liegen noch nicht vor. Das Statistische Landesamt Hamburg hat auf der Grundlage der von den Bezirken für die Bundesjugendhilfestatistik erhobenen Fälle folgende Daten für die Jahre 1995 und 1996 ermittelt: Jahr Anzeigen zum vollständigen oder teilweisen Entzug der elterlichen Sorge Gerichtliche Maßnahmen zum vollständigen oder teilweisen Entzug der elterlichen Sorge 1995 1996 1995 1996 insgesamt 298 707 234 293

4. a) Welche Gründe waren für die Einleitung dieses Verfahrens jeweils ausschlaggebend?
Eine Statistik über Sorgerechtsentziehungsverfahren, aus denen die Gründe für die Einleitung des Verfahrens, die Entziehung des Sorgerechts und die Dauer des Verfahrens erkennbar wären, wird beim Amtsgericht nicht geführt. Die erfragten Daten können deshalb in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermittelt werden.

4. b) In wie vielen Fällen hat ein solches Verfahren zum Entzug des elterlichen Sorgerechts geführ t?
Siehe Antwort zu 4.

4. c) Welche Gründe waren für die Entziehung des elterlichen Sorgerechtes nach 4 b) ausschlaggebend?
Siehe Antwort zu 4. a).

5. Welche dem Entzug des elterlichen Sorgerechtes vorangehenden Maßnahmen der Behörden wurden 1997 (bitte Vergleichszahlen für 1996 und 1995 angeben) als „mildere Mittel“ angeordnet, und zwar a) in welchem Verfahren bei welchen Verfahrensbeteiligten? b) welche Maßnahmen im einzelnen? c) in wie vielen Fällen?
Maßnahmen der Behörden, die dem Entzug des elterlichen Sorgerechts vorangegangen sind, werden statistisch nicht erfaßt. Eine Auswertung der jeweiligen Einzelfälle ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß – gemäß den Vorgaben des SGB VIII – im Vorfeld sorgerechtsentziehender Maßnahmen die vielfältigen Möglichkeiten der Hilfen zur Erziehung ausgeschöpft werden.

6. Welchen Zusammenhang sieht der Senat zwischen Jugendkriminalität auf der einen und einem möglichen Versagen der Eltern bei der Ausübung des elterlichen Sorgerechtes auf der anderen Seite?
Die kriminologische Forschung weist darauf hin, daß für die Entstehung von delinquentem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen ein relevanter Faktor das Erziehungsverhalten der Eltern ist. Allerdings liegen über den Zusammenhang von Jugendkriminalität und elterlichem Versagen bei der Ausübung des Sorgerechts keine empirisch gesicherten Erkenntnisse vor, die differenzierte Aussagen hinsichtlich des erfragten Zusammenhangs zuließen.

7. Der Stadtteil Langenhorn ist in den vergangenen Wochen wiederholt Schauplatz von Kinder- und Jugendkriminalität gewesen. a) Welche von Kindern und Jugendlichen begangenen Straftaten haben sich seit dem 6. November 1997 (vgl. Drucksache 16/60) in Langenhorn im einzelnen zugetragen?
Einzelnen der unter 7 c) genannten Kinder und Jugendlichen, die mehrfach an Straftaten und Ordnungswidrigkeiten beteiligt gewesen sind (vgl. Drucksache 16/60), sind aufgrund der speziellen Auswer tung der in diesem Zusammenhang registrierten Straftaten für den Zeitraum seit dem 5. November 1997 zuzurechnen: Elf Sachbeschädigungen, neun einfache Körperverletzungen, eine gefährliche Kör per verletzung, fünf Bedrohungen, zwei einfache Diebstähle, ein schwerer Diebstahl, eine Leistungserschleichung, zwei Raube, eine Beleidigung. Dabei ist nicht danach differenziert, in welchem Stadtteil (Langenhorn oder angrenzende Bereiche) diese Straftaten begangen wurden.

7. b) Welche Maßnahmen sind mit welchen Konsequenzen gegen die Straftäter eingeleitet worden?
Gegen die Tatverdächtigen wurden durch die Polizei Ermittlungsverfahren eingeleitet und die entsprechenden strafprozessualen Maßnahmen getroffen. Seitens der Polizei wurden im Hinblick auf die genannte Gruppierung Gespräche mit Eltern geführt und Hausbesuche bei den Tatverdächtigen im Beisein der Eltern durchgeführt. Eine Aussage darüber, welche weiteren Maßnahmen durch die Polizei im einzelnen mit welchen Konsequenzen gegen die Straftäter eingeleitet worden sind, könnte nur aufgrund einer Auswertung der 2


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Drucksache 16/523

jeweiligen Ermittlungsakten erfolgen. Dies ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Das Bezirksamt Hamburg-Nord hat – Kontakt zu allen betroffenen Eltern aufgenommen und ihnen Beratung und Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder angeboten; nach erfolgter Kontaktaufnahme wurden in zwei Fällen Anträge auf Hilfen zur Erziehung gemäß § 27 ff. SGB VIII gestellt und entsprechende Hilfemaßnahmen eingeleitet, – einen Arbeitskreis der Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit eingerichtet, in dem kommunale Einrichtungen und freie Träger vertreten sind, um den fachlichen Austausch und die Koordinierung von Veranstaltungen wie auch Öffnungszeiten besser zu ermöglichen, – einen „Runden Tisch“ eingerichtet, wo auch die Jugendlichen ihre Interessen vertreten können, – Kontakte mit dem Sportclub Langenhorn aufgenommen, um ein Streetball-Angebot machen zu können (Finanzierung durch Sponsorengelder, Start: Mai 1998), – Kontakte mit der Einrichtung Rosenhof aufgenommen, um den Jugendlichen Beschäftigungsangebote unterbreiten zu können, – Gespräche mit den Gewerbetreibenden auf dem Langenhorner Markt geführt, um Beschäftigungsmöglichkeiten für einzelne Jugendliche zu ermitteln, – eine weitere Stelle zum Kriseneinsatz aus Umschichtungen geschaffen, die jeweils zur Hälfte im Bereich Straßensozialarbeit und an das Haus der Jugend angebunden sein soll. Zu den durch die Polizei durchgeführten Maßnahmen siehe Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/60.

7. c) Hat sich der Kreis der in Langenhorn wiederkehrend strafrechtlich auffälligen Kinder und Jugendlichen nach Erkenntnissen des Senats seit dem 6. November 1997 (vgl. Drucksache 16/60) verändert? Wenn ja, wie?
Es konnte ein großer Teil der Jugendlichen in Angebote der Jugendarbeit des Bezirks integriert werden. Nach Einschätzung der Fachkräfte bestehen gute Aussichten, daß die Maßnahmen für die Jugendlichen im Verbund mit den Maßnahmen zur Stärkung der Erziehungsverantwortung der Eltern zu einer Veränderung ihres Sozialverhaltens führen werden.

7. d) Welche Erkenntnisse liegen dem Senat bezüglich eines Anstiegs der Kinder- und Jugendkriminalität in benachbarten Stadtteilen vor, der ganz oder teilweise auf den unter 7 c) genannten Personenkreis zurückzuführen ist?
Siehe Antwort zu 7. a).

7. e) Welche Maßnahmen sind seitens der Stadt ergangen, um mit den betroffenen Eltern Kontakt aufzunehmen und ihnen z. B. Hilfe bei der Betreuung der Kinder/Jugendlichen anzubieten, und zu welchen Ergebnissen haben diese Bemühungen bisher geführt?
Siehe Antwort zu 7. b).

7. f) Sind aufgrund der Vorfälle in Langenhorn Verfahren zum Entzug des elterlichen Sorgerechts eingeleitet worden? Wenn nein, warum nicht?
Nein, vgl. Antwor t zu 7. b).

8. Betrachtet der Senat die Entziehung des elterlichen Sorgerechtes im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendkriminalität als geeignete Maßnahme? Wenn nein, warum nicht? 9. Wird der Senat zukünftig verstärkt Verfahren zum Entzug des elterlichen Sorgerechtes anstrengen, um die Kinder- und Jugendkriminalität in den Griff zu bekommen? Wenn nein, warum nicht?
Über die Entziehung des elterlichen Sorgerechts entscheiden die zuständigen Gerichte nach Maßgabe der besonderen Umstände des Einzelfalls. Ebenso liegen die Voraussetzungen für die Anstrengung eines Verfahrens zur Entziehung des elterlichen Sorgerechts in den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls begründet. Pauschalierende oder generalisierende Aussagen über die Maßnahmen als solche verbieten sich von daher.

10. Welche anderen Maßnahmen hat der Senat bisher erfolgreich eingeleitet, um a) die Jugendkriminalität, b) Straftaten von Kindern wirksam in den Griff zu kriegen?
Vgl. die Antwort des Senats auf die Große Anfrage Drucksache 15/7347. Der Erfolg der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität läßt sich naturgemäß schwer messen. So kann beispielsweise eine intensive Ermittlungstätigkeit der Polizei sowie eine Erhöhung der Bereitschaft in der Bevölkerung, Straftaten Jugendlicher anzuzeigen, zu einer statistischen Zunahme der Delinquenz führen, obgleich die Zahl der von Kindern und Jugendlichen begangenen Straftaten objektiv zurückgegangen sein kann. Vgl. hierzu auch die Pressemitteilung der Behörde für Inneres zur PKS 1997.

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